TO THE POINT
Der Cyberbanker

 
DER CYBERBANKER

Erstabdruck Schweizer Bank 10/99

Im Cyberzeitalter ist der Gedanke durchaus angebracht: Wird es noch lange Banker aus Fleisch und Blut geben, oder sind sie eine aussterbende Rasse?

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen spät abends gemütlich zu hause vor einem künstlichen Chemineefeuer und haben vor sich einen leistungsstarken PC mit Laserschnittstellen und einem superdünnen Hightech Bildschirm. Ihre Vernetzung mit Glasfaserkabel und ISDN über Highspeed Modem ermöglicht es Ihnen mit Firmen und Personen Ihrer Wahl auf Knopfdruck Verbindung aufzunehmen und in Sekundenschnelle das Bild des Angerufenen auf dem Display zu bewundern.

Sie kontaktieren so Ihre Bank, rufen einige Zahlen und Statistiken und Grafiken über Ihre Anlagen ab, schauen sich Videos mit Anlagetips an, und lassen sich vom Computer die beste Ergänzung zu Ihrem Anlageportfolio empfehlen. Wenn Sie damit einverstanden sind bestätigen Sie die Wahl und gleichzeitig führt der Computer Ihren Börsenauftrag zu minimalen Kosten aus. Zwei Minuten später haben Sie schriftliche Bestätigung über Ihre Transaktion auf Ihrem e-mail. Die Bank dankt Ihnen bestens für Ihren Auftrag und versichert Sie, dass Ihre Wünsche ihr stets am Herzen liegen. Sie nehmen das Ernst und verlangen vom Computer, dass er Sie monatlich mit Analysen und Empfehlungen über Ihre Anlagen informiert hält. Sie können sich auf das pünktlich erscheinende email mit diesen Angaben verlassen. Das alles über eine abhörsichere Verbindung.

Wenn Sie das mit Ihrer heutigen Erfahrung mit Ihrer Hausbank vergleichen, glauben Sie, dass das noch in ferner Zukunft liegt? Es mag so den Anschein haben, aber Sie werden positiv überrascht werden. 

Die meisten Banken haben mit hohen Unkosten zu kämpfen, besonders im Retailgeschäft und im mittleren Vermögensverwaltungssegment. Sie sind vor die Wahl gestellt, die Dienstleistungen am Kunden zu kürzen, oder die direkten und versteckten Gebühren heraufzusetzen. Beides wird von den Kunden wenig goutiert. Sie werden gezwungen Schlange zu stehen, weil die Anzahl der Angestellten am Schalter reduziert wurde. Sie werden in einer Telefonwarteschlange auf Ihre Kosten mit Vivaldi zum Warten genötigt. Wenn Sie dann endlich dran sind, haben sie schon fast vergessen was sie eigentlich wollten. Das geht sowieso nur zu normalen Arbeitszeiten, evtl noch am Samstag-Vormittag, danach ist Funkstille.

Eine weitere Folge der Sparbemühungen spüren sie, wenn Sie von Ihrem Anlageberater erwarten, dass er sie periodisch anruft und Ihnen bei Bedarf Änderungen in Ihrem Depot empfiehlt. Es wird auf die Dauer kaum klappen. Der Anlageberater hat etwa 1000 Kunden zu betreuen und kann beim besten Willen nicht alle persönlich kontaktieren.

Das mittlere Vermögenssegment mit Anlagen von SFr. 100'000 bis ca. SFr. 3 MM ist das sogenannte Wachstums-Segment. Hier erhoffen sich die Banken den grössten Zuwachs an Kundschaft in den nächsten Jahren. Die neue Generation an Unternehmern, Künstlern, leitenden Angestellten, Direktoren etc, die jetzt in dieses Segment hineinwachsen sind jedoch nicht mehr bereit dieselben oder höhere Bankgebühren wie Ihre Väter und Mütter zu bezahlen. Sie haben von Discount-Brokerage, Internetbanking, Phone-Banking etc. gehört und wollen von diesen neuen Werkzeugen profitieren. Diese Kunden brauchen vielleicht periodisch den Rat eines Vermögens-Spezialisten, aber den bezahlen sie jeweils nach Aufwand. Die neuen Kunden werden nicht mehr bereit sein, hohe Bank-Gebühren und Kommissionen zu bezahlen für manuelle Dienstleistungen, wenn sie die nicht ausdrücklich verlangen. Der Druck der Kunden auf billigere, schnellere und moderner Art bedient zu werden nimmt zu.

Das bedeutet, dass sich die Banken schnellstmöglich billigere aber effiziente und kundenfreundliche Dienstleistungskanäle einfallen lassen müssen. Anfänge sind in der Schweiz bereits gemacht mit Telefonservice für den Verkauf von Fonds und vereinzelte Versuche mit Konteninformationen und Auftragsmöglichkeiten via Internet. Diese sind aber noch immer sehr schwerfällig und langsam im Gebrauch. 

Im nahen und fernen Ausland sind die Bemühungen schon weiter fortgeschritten. Dort gibt es Telephon-Discount-Brokerage Services, wo der Kunde am Telephon Wertpapiere zu einem Bruchteil der Kosten die in der Schweiz anfallen, handeln kann. Dieser Service ist meist in einem effizienten Center an günstiger Lage ausgelagert. Die Angestellten haben ein leistungsfähiges Computersystem mit den Kunden- und Marktdaten vor Augen und können so in kürzester Zeit die Aufträge der Kunden erfüllen. Dieser Service funktioniert 24 Stunden, 7 Tage in der Woche. 

In den USA hat der Kunde zum Beispiel die Wahl mit einer richtigen Person zu sprechen und seinen Auftrag zu platzieren, oder über einen Telephon-Computer. Die Gebühren für einen Auftrag im persönlichen Service belaufen sich auf ca. USD 30 bis USD 50, je nach Grösse. Der Service des Computers ist vielfach bereits gratis oder kostet einen Bruchteil davon.

Sie können über Internet Videos abrufen, in denen Anlagespezialisten die Strategie für eine bestimmte Anlage, ein Land, einen Sektor etc. erläutert und gleich auch noch die Grafiken mitliefert.

Es ist eine Frage der Zeit und die wird nicht generös bemessen sein, bis die erste Bank hier mit dem, heute futuristisch anmutenden, virtuellen Banker den Markt umkrempelt. Die erste wird den Marktvorteil für sich auszunutzen wissen. Die Kunden werden die Innovation, den schnellen Service, die professionelle Abwicklung und die reduzierten Kosten schätzen. 

Allerdings wird es eine Schattenseite geben. Die herkömmlichen Analgeberater im mittleren und teils auch höheren Kundensegment werden verschwinden. Gefragt werden bankeigene oder auswärtige Anlagespezialisten sein, die auf Auftrag und für einen festgelegten Preis, gezielt ein Kundenportfolio analysieren und dem Kunden Ratschläge für seine Investitionen geben. Diese werden dann wieder im Discount-Brokerage Service ausgeführt. 

Natürlich wird es immer Kunden geben, die einen persönlichen Ansprechpartner wollen und ihm vertrauen. Diese Kunden werden aber auch bereit sein müssen, die höheren Kosten zu tragen, das heisst es werden sich meist Kunden mit grösseren Vermögen dafür entscheiden. Das Wachstums-Segment der mittleren Vermögen wird sich in die andere Richtung bewegen. Der virtuelle Banker zwinkert Ihnen schon über den Rand Ihres Bildschirms zu.
Cyberbanker.doc